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Interview mit Ali Tash von unserem Kooperationspartner TransnetBW

Gemeinsam arbeiten TransnetBW und APG daran, das dem zusammEn2040 zugrundeliegende Energiesystemmodell (ESM) kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern.

TransnetBW – der Übertragungsnetzbetreiber für Baden-Württemberg in Deutschland – und die APG sind als Kooperationspartner in enger Zusammenarbeit. Ali Tash ist als Product Owner Energy System Model bei TransnetBW tätig und erläutert in diesem Interview die Herausforderungen und Lösungsansätze für das Gelingen der Energiewende aus Sicht von TransnetBW. Dazu zählen die Bedeutung langfristiger Planungen, Fragen zur Versorgungssicherheit und die Rolle ganzheitlicher Energiesystemanalysen.

Interview

APG: Guten Tag Herr Tash! Beginnen wir mit einer kurzen Vorstellung Ihrerseits: Mit welchem Projekt beschäftigen Sie sich gerade hauptsächlich bei TransnetBW?

Tash: Guten Tag. Vielen Dank für die Einladung. Ich bin derzeit als Product Owner des Energiesystemmodells von TransnetBW tätig. Das heißt, ich bin dafür verantwortlich, die Produktvision des Energiesystemmodells zu definieren, Anforderungen zu priorisieren und das Entwicklungsteam zu leiten. Unser Ziel dabei ist es, das Energiesystemmodell kontinuierlich weiterzuentwickeln, sodass es stets in der Lage ist, die wachsende Komplexität des tatsächlichen Energiesystems angemessen abzubilden.

APG: Warum müssen Sie als Stromübertragungsnetzbetreiber in der Lage sein, das gesamte Energiesystem in seiner ganzen Komplexität abzubilden?

Tash: Die Dekarbonisierung des Energiesystems wird unter anderem mit einer Elektrifizierung der Nachfragesektoren erreicht. Hierfür ist eine schnelle Integration erneuerbarer Energien und die Erschließung neuer Flexibilitäten notwendig. Das alles überlagernde Ziel ist es aber immer, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Dies kann nur mit einer geeigneten Stromnetzinfrastruktur gelingen. Wir als Netzbetreiber können unsere Netze nur adäquat und bedarfsgerecht entwickeln, wenn wir wissen, wie sich das gesamte Energiesystem weiterentwickelt.

Das ESM modelliert das gesamte Energiesystem unter Berücksichtigung aller Energieträger und Verbrauchssektoren sowie deren Emissionen.

Ali Tash TransnetBW

APG: Wie funktioniert das von TransnetBW und APG eingesetzte Energiesystemmodell?

Tash: Das ESM modelliert das gesamte Energiesystem unter Berücksichtigung aller Energieträger und Verbrauchssektoren sowie deren Emissionen. Dadurch werden die Effekte der Sektorenkopplung entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Modell explizit abgebildet. Die Entscheidungsvariablen umfassen Kapazitäten und Betriebsweisen von Anlagen sowie sämtliche Energieflüsse- und -speicherungen, Verluste und Emissionen über alle Stunden im betrachteten Zeitraum und in allen europäischen Ländern. Diese Entscheidungsvariablen werden dann in einem Optimierungsproblem so bestimmt, dass die Gesamtsystemkosten, d.h. Investitions- und Betriebskosten sowie Kosten für importierte Brennstoffe, unter Einhaltung mehrerer Nebenbedingungen minimiert werden.

Dabei umfassen die zentralen Nebenbedingungen die zeitliche Bilanzierung, d.h. Produktion gleich Verbrauch, Emissionsreduktionsziele sowie diverse technische Beschränkungen und politische Rahmenbedingungen. Mit dem ESM können konsistente Gesamtsystem-Szenarien simuliert und die Auswirkungen externer politischer oder regulatorischer Rahmenbedingungen sowie technologische Entwicklungen untersucht werden. Die Ergebnisse des ESM liegen für alle modellierten Regionen in hoher zeitlicher Auflösung für alle berechneten Stützjahre auf dem Weg zur Klimaneutralität vor. Für Übertragungsnetzbetreiber ist insbesondere die explizite Darstellung des Bedarfs an Stromtransportkorridoren zwischen den modellierten Regionen von essenzieller Bedeutung.

APG: Was begeistert Sie am meisten an Ihrer Tätigkeit?

Tash: Die fachlichen und IT-technischen Herausforderungen der Modellierung des komplexen Energiesystems. Besonders interessiert mich, wie eng die Energiesektoren miteinander verflochten sind und wie harmonisch sie sich entwickeln können, um die Ressourcennutzung zu optimieren. Dies bezeichnen wir manchmal als den „Tanz der Sektoren“. Zusätzlich hatte ich die Gelegenheit, neue Kooperationen zu erleben, darunter auch die Zusammenarbeit mit der APG. Es freut mich sehr, mit so kompetenten Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten und von ihnen lernen zu dürfen. Aufgrund ähnlicher Herausforderungen helfen solche Kooperationen beiden Seiten, Synergien zu entdecken und effizient zu nutzen, Perspektiven zu erweitern und Aufgaben besser zu erfüllen.

APG: Worin sehen Sie die größte Herausforderung bei der Abbildung von realen Energiesystemen in Modellen?

Tash: An erster Stelle steht die Abwägung zwischen der Granularität der Abbildung des Energiesystems und der Lösbarkeit des Optimierungsmodells. Prinzipiell ist es möglich, viele Details abzubilden, was jedoch die Komplexität des Optimierungsproblems erheblich erhöht und schnell an die Grenzen der Lösungsmethoden stößt. Eine weitere große Herausforderung ist die Datenverfügbarkeit. Es fehlen manchmal Daten zu bestimmten Aspekten, und in anderen Fällen widersprechen sich Daten aus verschiedenen Quellen. Bei der Definition von Szenarien kommt es gelegentlich vor, dass wir als Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) die langfristigen Entwicklungen in bestimmten Branchen anders einschätzen als die Akteure, die in diesen Bereichen aktiv sind. Daher bieten Initiativen wie zusammEn2040 die Möglichkeit, solche asymmetrischen Informationen durch direkten Dialog zu bewältigen. Des Weiteren setzen Methoden zur Modell-Abbildung solch großer Systeme bestimmte Annahmen voraus. Zum Beispiel wird angenommen, dass der Energiemarkt ein perfekter Markt ist, ohne jegliche Marktmacht, Informationsasymmetrie oder nichtwirtschaftliche Motivation der Akteure. In der Realität gibt es jedoch viele Ereignisse, die zu Marktversagen führen und unvorhersehbare oder wirtschaftlich irrationale Entwicklungen des tatsächlichen Energiesystems hervorrufen. Auch der politische Rahmen mit all seinen Weichenstellungen lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Solche Entwicklungen lassen sich sehr schwer mit unseren Tools abbilden.

APG: Worin sehen Sie den größten Mehrwert in diesem Projekt bzw. was sind wichtige, bisher gewonnene Erkenntnisse?

Tash: Den größten Mehrwert sehe ich darin, dass wir nun in kurzer Zeit das Übertragungsnetz mit einer Vielzahl an Energiesystemszenarien überprüfen können. Dies wird durch eine Abfolge verschiedener Tools ermöglicht, angefangen beim Energiesystemmodell bis hin zum Netzmodell. Bisher basierten die Analysen, insbesondere nationale Netzentwicklungspläne, auf einer begrenzten Anzahl von Energieszenarien zur Bestimmung des Netzentwicklungsbedarfs. Dies hatte seinen Grund in der Herausforderung und dem hohen Aufwand bei der Erstellung konsistenter Szenarien, die nicht nur die Effekte der Sektorenkopplung präzise abbilden, sondern auch politisch akzeptiert werden. Mit dem ESM können aber zahlreiche konsistente Energiesystemszenarien unter Berücksichtigung der Sektorenkopplungseffekte in kürzer Zeit erstellt werden. Anschließend können diese Effekte auch in unseren Netzmodellen widergespiegelt und analysiert werden.

Natürlich gibt es auch die sogenannten "no-regret"-Maßnahmen für die Netzentwicklung. Dies bedeutet, dass unabhängig von unterschiedlichen Entwicklungspfaden des Energiesystems bestimmte Ausbaubedarfe ohnehin gedeckt werden müssen. Schwieriger ist es jedoch, Maßnahmen zu identifizieren, die von der spezifischen Zukunft unseres Energiesystems abhängen. Genau hier setzt unser ESM an und ermöglicht eine robuste, aber auch kostengünstige Planung der Netzentwicklung.  Die aus diesen Erkenntnissen gewonnenen Informationen können dann zur Verstärkung der Szenarien für die nationalen Netzentwicklungspläne verwendet werden.

Die methodische Kooperation am Modellcode ermöglicht eine effiziente Integration von nationalem Know-how.

Ali Tash TransnetBW

APG: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der APG und welche Vorteile sehen Sie in der Kooperation?

Tash: Die APG und TransnetBW arbeiten gemeinsam an der Weiterentwicklung des Energiesystemmodells. Wir haben eine gemeinsame Code-Basis erfolgreich abgeschlossen. Die methodische Kooperation am Modellcode ermöglicht eine effiziente Integration von nationalem Know-how und steigert somit die Qualität und Aussagekraft des europäischen Modells signifikant. Erlauben Sie mir, dies anhand eines konkreten Beispiels genauer zu erläutern. Während der eine Kooperationspartner neue Funktionalitäten im Modell implementiert, entwickelt der andere Übertragungsnetzbetreiber umfangreiche Auswertungen und Visualisierungen. Diese Erweiterungen können dann von beiden Partnern genutzt werden. Durch die gemeinsame Arbeit an einem so wichtigen Planungsinstrument wie dem ESM wird der europäische Zusammenhalt gestärkt und der Mehrwert für die Partner maximiert.

Wir müssen unsere Ambitionen bündeln, die Energiewende kann nur gemeinsam gelingen.

Ali Tash TransnetBW

APG: Warum sind besonders in der Energiesystemmodellierung europäische Zusammenarbeiten wie diese besonders wichtig?

Tash: Das Energiesystem Europas sollte als eine Einheit betrachtet werden, nicht nur, weil die europäischen Länder durch Stromübertragungsnetze und Gasfernleitungsnetze miteinander verbunden sind, sondern auch, weil wir in Europa eine gemeinsame Wirtschaft mit viel Handel anstreben. Wir müssen unsere Ambitionen bündeln, die Energiewende kann nur gemeinsam gelingen. Daher sind uns europäische Kooperationen besonders wichtig und wir sind offen für neue Partner.

APG: Vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführende Links:

Energy System 2050 | TransnetBW GmbH

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