Interview mit Christian Schützenhofer vom AIT
Das gemeinsame Ziel: Industrie und Energiewirtschaft sind Schlüsselfaktoren für die langfristige Absicherung des Wohlstandes in Österreich
Mit der Initiative zusammEn2040 wird eine Plattform geschaffen, innerhalb derer Stakeholder mit dem zusammEn2040-Team der APG über mögliche Entwicklungen im Energiesystem sprechen können. Als einer der Schlüsselsektoren für das Gelingen der Energiewende wird dabei insbesondere auch die Industrie zur Teilnahme eingeladen. Dabei kann das europäische, sektorgekoppelte Energiesystemmodell, das in zusammEn2040 angewendet wird, aus Perspektive der Industrie als ein Tool für die Umfeldanalyse gesehen werden, mithilfe dessen die komplexen Wechselwirkungen und Zusammenhänge im Energiesystem der Zukunft untersucht werden können.
Interview
Um die Perspektive der Industrie besser zu verstehen, trafen sich APG-Expert:innen mit Christian Schützenhofer vom Austrian Institute of Technology (AIT). Unter der Leitung des AIT wurden im Rahmen von groß angelegten Projekten – insbesondere des Innovationsverbunds „New Energy for Industry“ (2023) bzw. der Studie „transform.industry“ (2024) – unter einer breiten Einbindung von Industrie und Forschung verschiedene Entwicklungspfade für die Dekarbonisierung der Industrie erstellt, die auch eine wichtige Datengrundlage für das Energiesystemmodell im Rahmen von zusammEn2040 darstellen.
APG: Grüß Gott Herr Schützenhofer! Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen. Wir würden gerne gleich zum Einstieg fragen: Können Sie in einem Satz die größte Herausforderung aus der Perspektive der Industrie beschreiben?
Schützenhofer: (Lacht) Ein Satz wird wohl nicht reichen, aber im Wesentlichen besteht die Herausforderung für die Industrie in der Vielzahl der endogenen und exogenen Parameter, die für die Entscheidungen berücksichtigt werden müssen. Einerseits muss massiv investiert werden, damit die Dekarbonisierung gelingt. Andererseits ist die Industrie – stärker als früher – auch abhängig von den Entwicklungen im Umfeld, die aus ihrer Perspektive nicht direkt beeinflussbar sind. Daraus resultieren dann entsprechende Risiken. Wobei ich zu Beginn betonen möchte: Wir haben in unseren Projekten gelernt, dass die Industrie bereit ist, zu investieren und so ihren Beitrag zu leisten. Die Frage, an der sich alles aufhängt, ist eben das „Wie.“
„Durch günstige Energiepreise in der Vergangenheit konnte man lange mit dem Bewusstsein leben, dass die Energieversorgung gesichert ist. Wir stehen jetzt aber vor einem Totalumbau des Gesamtsystems, mit einer erhöhten Abhängigkeit gegenüber Energie- und Rohstoffpreisen.“
APG: Mit „Umfeld“ meinen Sie auch die Entwicklungen im Energiesystem?
Schützenhofer: Genau. Wir stehen jetzt vor einem Totalumbau des Gesamtenergiesystems. Die Energiepreise werden durch Erneuerbare zu vielen Zeiten sinken. Die Versorgung wird durch mehr inländische Erzeugung jedenfalls besser abgesichert. Wegen der Schwankungen im Angebot braucht es einen ganz massiven Ausbau der Netze.
APG: Was sind die Herausforderungen bei diesem Umbau?
Schützenhofer: Zuerst sind natürlich massive Investitionen in neue Anlagen nötig. Gleichzeitig gilt aber auch: Diese Investitionen werden über einen langen Zeitraum abgeschrieben und sind damit relativ gut planbare Posten in der Bilanz. Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus unserer Forschung ist daher: Zentral für das Gelingen der Dekarbonisierung der Industrie sind die Fragen der Kosten und Verfügbarkeit unterschiedlicher Energieträger und Rohstoffe. Und genau diese Fragen sind mit den größten Unsicherheiten behaftet, weil die Entwicklungen im Energiesystem schwer vorhersehbar sind.
APG: Wie kann man mit diesen Unsicherheiten umgehen?
Schützenhofer: Zuerst ist zu erwähnen, dass die Entwicklungen der nächsten zehn Jahre relativ gut vorhersehbar sind, da sich die technologischen Entwicklungen in diesem Zeitraum gut abschätzen lassen. Daher können auch die Investitionen für diesen Zeitraum als relativ gesichert angesehen werden. Danach werden die Unsicherheiten größer. Um mit diesen Unsicherheiten umzugehen, haben wir in unseren Studien gemeinsam mit der Industrie verschiedene Transformationspfade bzw. Szenarien definiert, die unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten – unter Berücksichtigung der nötigen Investitionskosten – aufzeigen.
APG: Wodurch unterscheiden sich diese Szenarien?
Schützenhofer: Über den szenariobasierten Ansatz versuchen wir zum Beispiel abzubilden, welche Rohstoffe und Energieträger in Zukunft nachgefragt werden oder wieviel Innovation in unterschiedlichen Bereichen stattfindet. Diese Fragen hängen natürlich von einer Vielzahl von Faktoren ab und die Industrie beobachtet die Entwicklungen in der Politik und Technik sehr genau. Zum Beispiel ist mittlerweile klar, dass CO2-Abscheidung in Zukunft eine Rolle spielen wird. Gleichzeitig ist offen, ob und wie das abgeschiedene CO2 auch verwertet bzw. transportiert werden kann. Ebenso stellt sich die Frage, wo die Wertschöpfung für die zukünftige Herstellung von Rohstoffen geschieht. Glaubt man an eine starke europäische Wasserstoffwirtschaft, ändern sich auch die Rahmenbedingungen für die Industrie. Gleichzeitig kann es auch für die Industrie Vorteile haben, wenn der Wasserstoff zukünftig zumindest zu einem Teil in Österreich produziert wird.
APG: Es geht hier also um Fragen der Versorgungssicherheit und der Autarkie?
Schützenhofer: Nicht nur. Auch die wirtschaftliche Perspektive steht im Vordergrund. Wir werden in Zukunft mehr Energie in der Industrie brauchen. Österreich ist ein kleines Land und wird diese Energie zu einem gewissen Teil importieren müssen. Die Fragen, welche Energieträger das sind, bzw. zu welchem Preis sie produziert und importiert werden können, sind allerdings offen. Daraus entstehen natürlich enorme Abhängigkeiten und Fragestellungen, die die Entwicklungen im europäischen Ausland betreffen – im Hinblick auf das Energiesystem, aber natürlich auch im Hinblick auf wirtschaftliche Überlegungen für die Industrie.
APG: Welche Rolle spielt Strom in diesen Entwicklungen?
Schützenhofer: Der Strompreis ist ganz klar der zentrale Faktor für alle Entscheidungen. Einerseits bietet die Elektrifizierung aus Sicht der Industrie eine enorme Chance. Elektrifizierte Prozesse sind deutlich gezielter steuerbar als Verbrennungsprozesse. Daher liegt in der Elektrifizierung ein Kostensparungspotenzial. Andererseits hängen letztendlich auch die Kosten der schon angesprochenen CO2-Abscheidung, aber auch der Erzeugung von Wasserstoff vom Strompreis ab. Daher lässt sich sagen: Die Investitionsentscheidungen der Industrie hängen im Wesentlichen von der Verfügbarkeit und vom Preis von Strom ab.
„Die Investitionsentscheidungen der Industrie hängen im Wesentlichen von der Verfügbarkeit und vom Preis von Strom ab.“
APG: Wo sehen Sie die Bedeutung von Energiesystemmodellierung in diesem Zusammenhang? Insbesondere können die Daten aus Ihren Studien auch in unserem Modell für eine Szenario-Analyse verwendet werden.
Schützenhofer: Unsere Studie zeigt aggregierte Daten in Schritten von fünf Jahren. Das gibt Aufschluss über Gesamtnachfrage und Struktur. Darauf aufbauend sind Modelle mit hoher Zeitauflösung unbedingt erforderlich. Jahreszeiten-, Wochentagszyklen und das Wetter müssen abgebildet werden um diese Varianzen zu modellieren und damit die oben angesprochenen Unsicherheiten zu reduzieren. Mansches verstärkt sich und manches gleicht sich aus. Wir müssen wissen wie das zusammenspielt und was in den ungünstigen Fällen effektive Instrumente sind.
APG: Wir bedanken uns für das Gespräch!
Weiterführende Links:
Unser Angebot: Welcher Mehrwert wird Industrie-Stakeholdern durch Teilnahme an zusammEn2040 geboten?
Die österreichische Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass Österreich bis 2040 klimaneutral sein soll. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Industrie. Mit über eine Million Arbeitsplätzen und einem Anteil an der heimischen Wertschöpfung von 28,8 % ist der produzierende Bereich wesentlich für den Wohlstand in Österreich. Gleichzeitig ist dieser Sektor für ca. 44 % der heimischen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Für das Erreichen der ambitionierten Energie- und Klimaziele ist es daher essenziell, dass die Fragen der Wirtschaftlichkeit und der Dekarbonisierung im Einklang beantwortet werden. Mit der Initiative zusammEn2040 möchte die APG einen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderung leisten.
Im vernetzten und sektorgekoppelten Energiesystem der Zukunft entstehen neue wechselseitige Abhängigkeiten, wodurch die klassischen Sektoren - Erzeugung, Nachfrage und Transport - enger zusammenspielen werden. Einerseits entstehen durch diese neuen Abhängigkeiten enorme Chancen zur Effizienzsteigerung. Andererseits resultieren aus den vielen Unsicherheiten über zukünftige Entwicklungen auch entsprechende Risiken, die insbesondere auf die langen Planungszeiträume bzw. Investitionszyklen für sowohl Energieinfrastruktur, aber auch im Industriebereich zurückzuführen sind. Mit der Initiative zusammEn2040 wird eine Plattform geschaffen, innerhalb derer Stakeholder mit dem zusammEn2040-Team der APG über potenzielle Entwicklungen im Energiesystem sprechen können. Dabei kann das europäische, sektorgekoppelte Energiesystemmodell, das in zusammEn2040 angewendet wird, aus Perspektive der Industrie als ein Tool für die Umfeldanalyse gesehen werden, mithilfe dessen die komplexen Wechselwirkungen und Zusammenhänge im Energiesystem der Zukunft untersucht werden können. Aus Sicht der APG können durch diesen Dialog die Perspektiven der Industrie in Zukunft für die langfristige Planung berücksichtigt werden. So werden Planungsprozesse weiter optimiert und ein Beitrag dazu geleistet, dass die Transformation des Energiesystems kosteneffizient und transparent unter der Einbindung unterschiedlicher Stakeholder erfolgt.
Aus der Perspektive der Industrie ist eine Teilnahme an zusammEn2040 vor allem interessant weil …
- Welche wechselseitigen Abhängigkeiten im Energiesystem ergeben sich in Zukunft auf europäischer Ebene?
- Wie entwickelt sich die europäische Wasserstoffinfrastruktur(z.B. in Abhängigkeit unterschiedlicher Annahmen zu Wasserstoff-Preisen)?
- Welche wechselseitigen Abhängigkeiten entstehen durch die Kopplung der Sektoren (Strom, Gas, Wärme,…)?
- Welche Flexibilitäten werden im System benötigt? Wie können Flexibilitätsmärkte in Zukunft aussehen?
- Wo und in welchem Tempo werden Erneuerbare und Infrastruktur in Zukunft wahrscheinlich ausgebaut?
- Welche Auswirkung haben unterschiedliche CO2-Reduktionspfade (national/europäisch)?
- Wie können – allgemein – die Auswirkungen politische Rahmenbedingungen auf das europäische Energiesystem quantifiziert werden?
- Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Entwicklungen der Industrien in Europa auf das heimische Energiesystem?
Interesse?
Werden Sie selbst Teil der Initiative zusammEn2040: zusammEn2040@apg.at