Netzentwicklungsplan 2023
Ausgangssituation
Österreichs Versorgungssicherheit und -zuverlässigkeit liegt – mit einer Stromnetz-Verfügbarkeit von über 99,99% – im weltweiten Spitzenfeld. Die sichere und leistbare Stromversorgung ist die Basis unserer modernen Gesellschaft – jetzt und in Zukunft.
Dafür müssen neben dem Vorhandensein von jederzeit ausreichender Erzeugungsleistung zur Deckung des Strombedarfs auch entsprechende Netzkapazitäten zur Übertragung und Verteilung der Elektrizität verfügbar sein. Auch die Verfügbarkeit der Primärenergieträger ist für eine sichere und leistbare Energieversorgung von enormer Bedeutung. Die durch den Ukrainekrieg getriggerten Gaspreissteigerungen und reduzierten Importverfügbarkeiten haben zu gravierenden Kostensteigerungen im Stromsektor geführt. Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Reduktion der Energieimportabhängigkeit stellt der Ausbau der erneuerbaren Energieträger (kurz: EE) sowie die Substitution fossiler Energieträger dar. Dies zeigt sich ebenfalls in Anstrengungen von energieintensiven Industriebetrieben mit Plänen zur Umstellung auf strombasierte Prozesse.
Die letzten Jahre sind von globalen Krisen geprägt, die sich sowohl direkt als auch indirekt auf den Ausbau des Übertragungsnetzes und die Projekte des Netzentwicklungsplans ausgewirkt haben. Einerseits kam es durch die Covid-19-Pandemie und den andauernden russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu massiven Preisverwerfungen an den Gas- und Strommärkten und Lieferschwierigkeiten bzw. teilweisen Materialengpässen. Diese schlagen sich trotz intensiver Bemühungen von APG teilweise in verzögerten Projektzeitplänen sowie auch in den gestiegenen Kosten der Ausbauprojekte nieder. Andererseits hat sich im Rahmen der Coronakrise einmal mehr gezeigt, wie wichtig Digitalisierung und Vernetzung für die heutige Gesellschaft ist, und damit die Wichtigkeit einer sicheren und zuverlässige Stromversorgung nochmals bestätigt.
Über die Sektoren betrachtet sind im Gassektor ein sinkender Methanbedarf und die Anforderungen einer zukünftig wachsenden Wasserstoff-Wirtschaft sowie die Hebung der in Österreich vorhandenen Biomethan- und Biogaspotenziale zu nennen. Damit werden die Elektrolyse, grüner Wasserstoff und weitere Kopplungen des Gasnetzes mit dem Stromnetz an Bedeutung gewinnen (z.B. Power-to-Gas, Beiträge zur Speicherthematik etc.).
Eine leistungsfähige Stromnetzinfrastruktur bildet die Grundlage für die hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit der Versorgung mit elektrischer Energie. Sie stellt das Rückgrat des österreichischen Wirtschaftsstandortes und die Grundvoraussetzung für den weiteren EE-Ausbau, die Reduktion der Energieimportabhängigkeit und die Erreichung der österreichischen und europäischen Energie- und Klimaschutzziele dar. Die angestrebte Klimaneutralität der österreichischen Energieversorgung ist nur mit massiven Anstrengungen sowie hohem Engagement, Kooperation und der weiteren Vernetzung über die Sektoren des Energiesystems möglich. Für den Erfolg all dieser Bemühungen wird letztendlich der Ausbau und die Schaffung einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur entscheidend sein, sowohl der Übertragungsnetze als auch im Bereich der Verteilernetze.
Die bestehende Netzinfrastruktur ist jedoch nicht ausreichend für die bereits heute auftretenden hohen Transport- und Verteilerfordernisse zufolge der aktuellen EE-Ausbauten und des Spitzenlastbedarfs ausgelegt. Im Zuge der Energiewende auf dem Weg zu einem klimaneutralen Österreich wird der Transportbedarf für Strom weiter ansteigen und es werden zusätzliche strukturelle Engpässe entstehen, denen nachhaltig nur mit dem Ausbau des Übertragungsnetzes begegnet werden kann. Für das Engpassmanagement bzw. Redispatch in Österreich sind die kurzfristige Verfügbarkeit von thermischen Kraftwerken sowie von flexibler Kraftwerksleistung und Lasten notwendig – diese flexiblen Leistungen müssen von APG als „Netzreserve“ in Abstimmung mit E-Control vertraglich gesichert werden. Die Verfügbarkeit der Netzreserve ist zur Aufrechterhaltung des sicheren Netz- und Systembetriebes und der Versorgungssicherheit im österreichischen Übertragungsnetz mittlerweile unabdingbar.
In den vergangenen Jahren (2017 bis 2022) waren der Einsatz von Redispatch bzw. von Netzreserveleistung an bis zu 300 Tagen pro Jahr erforderlich (!). Die damit verbundenen Kosten sind in den letzten Jahren massiv angestiegen (zwischen 92 und 149 MEUR pro Jahr), und sind als Teil der APG-Netzkosten von den Kunden über die Netztarife zu tragen.
Nachhaltig können strukturelle Engpässe im APG-Übertragungsnetz nur durch Netzausbau und mit den NEP-Projekten gelöst werden. Die im Netzentwicklungsplan vorgesehenen Investitionsprojekte der APG sind damit eine Voraussetzung für die sichere Stromversorgung in Österreich. Weiters stellen die NEP-Projekte einen essenziellen Baustein bei der Transformation des Energiesystems und für die österreichischen Klimaschutz- und Energieziele dar. Als Übertragungsnetzbetreiber hat APG die betriebliche Verantwortung für den sicheren Netz- und Systembetrieb gemäß dem gesetzlichen Auftrag im ElWOG und unterstützt die ambitionierten politischen und gesellschaftlichen Ziele der Energiewende mit aller Kraft.
Energiewirtschaftlicher und nationaler Rahmen
Für die Erreichung der Klimaschutzziele ist es nötig den Ausbau der erneuerbaren Energieträger (EE) massiv zu forcieren. Dies wird im österreichischen Regierungsprogramm, das auch Zielsetzungen in Richtung eines klimaneutralen Österreichs beinhaltet, vorgegeben und derzeit im EAG geregelt. Dabei soll es zu einem massiven Ausbau von zusätzlich 18 GW an EE-Erzeugungsleistung in Österreich bis 2030 kommen (vgl. die dzt. in Österreich installierte Kraftwerksleistung: ca. 28 GW). Diese Leistungen und die EE-Erzeuger müssen in die Stromnetze – d.h. in das Übertragungsnetz und die Verteilernetze – sowie in das Stromsystem integriert werden. Durch diese stärker volatilen Erzeugungsformen und Leistungen im hohen GW-Bereich steigen die Volatilitäten im Netzbetrieb und insbesondere der Transportbedarf. Es werden zunehmend zeitliche und räumliche Ausgleiche von regionalen EE-Überschussleistungen und die Speicherung des „grünen Stromes“ sowohl national als auch in Europa notwendig.
Um den zukünftigen Transportbedarf zu identifizieren, erstellt das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) zur Verwirklichung der Zieldimensionen der Energieunion (gemäß § 94 des österreichischen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes) einen integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP), der einer strategischen Umweltprüfung zu unterziehen ist. Der ÖNIP ist ein übergeordnetes strategisches Instrument, das die grundsätzlichen Erfordernisse und Zielrichtungen der Netzinfrastruktur im Strom- und Gasbereich für eine ganzheitliche Energiewende aufzeigt. Der ÖNIP wurde am 7.7.2023 als Entwurf zur Stellungnahme veröffentlicht und befand sich seitens BMK bis 15.9.2023 in der öffentlichen Konsultation. Der zum ÖNIP zugehörige Entwurf des Umweltbericht wurde seitens BMK am 28.08.2023 veröffentlicht und wird gemeinsam mit dem ÖNIP vom BMK fertiggestellt.
Der vorliegende APG-Netzentwicklungsplan 2023 steht unter dem Vorbehalt der Inhalte der finalen Version des integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplans (ÖNIP), wie dieser von der Bundesministerin für Klimaschutz (BMK) gem. § 95 Abs. 5 EAG zu veröffentlichen sein wird.
Mit Vorliegen des finalen ÖNIP wird APG daher evaluieren, ob aufgrund der Maßnahmen, die für das Übertragungsnetz im ÖNIP vorgesehen sein werden (§ 94 Abs. 3 letzter Satz EAG) der Netzentwicklungsplan entsprechend anzupassen (abzuändern oder zu erweitern) sein wird.
Europäische Einflussfaktoren
Weitere Einflüsse resultieren aus europäischen regulativen und gesetzlichen Vorgaben unter anderem durch den Green Deal der Europäischen Kommission sowie den Veränderungen im europäischen Strommarkt. Eine große Initiative zur Umsetzung des Green Deal ist das „Fit für 55“-Paket, ein europäisches Maßnahmenpaket, das die Erreichung der europäischen Klimaziele gewährleisten und die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% – im Vergleich zu den Emissionen aus 1990 – reduzieren soll.
Im Mai 2022 wurde zudem Repower EU von der Europäischen Kommission (EK) vorgestellt. Der Repower EU-Plan basiert auf einer Strategie, die eine Unabhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen (Öl, Kohle und Gas), insbesondere aus Russland, bis zum Jahr 2030 vorsieht. Handlungsschwerpunkte sind die Diversifizierung und Sicherung einer leistbaren Energieversorgung, Energieeinsparung und Investitionen in erneuerbare Energien. Repower EU führte nochmals zu einer Anhebung der Energieeffizienzziele und der Ausbauziele für Erneuerbare Energieträger inklusive schnelleren Genehmigungsverfahren (im Vergleich zum „Fit für 55“-Paket). Außerdem wurde in diesem Rahmen eine Reform des EU-Energiebinnenmarkts auf den Weg gebracht.
APG-Netzausbauplanung und europaweite Koordinierung
APG ist als Übertragungsnetzbetreiber und Regelzonenführer verpflichtet, das Übertragungsnetz sicher, zuverlässig, leistungsfähig und unter Bedachtnahme auf den Umweltschutz zu betreiben sowie auszubauen und zu erhalten (§ 40 Abs. 1 Z 1 ElWOG 2010). Weiters erfolgt im TYNDP von ENTSO-E zudem – auf Basis abgestimmter energiewirtschaftlicher Szenarien – eine koordinierte Netzausbauplanung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber. Die zugrunde gelegten TYNDP-Szenarien und die daraus abgeleiteten Projekte sind sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer Ebene weitreichend und robust, sodass aus kurz- bis mittelfristigen wirtschaftlichen Änderungen (z.B. infolge von Covid-19 oder Konjunkturzyklen) keine erheblichen Auswirkungen auf die Langfristplanung der APG resultieren.
Der vorliegende Netzentwicklungsplan (NEP 2023) ist eine gesetzliche Verpflichtung (gemäß §37 ElWOG 2010) und basiert auf den langfristigen Planungen des TYNDP 2022 und stellt die Weiterentwicklung des NEP 2021 dar. Hiermit informiert APG alle Marktteilnehmer über den geplanten Netzausbau und die Netzentwicklung im Zehnjahres-Zeithorizont. Alle relevanten Marktteilnehmer hatten die Möglichkeit im Rahmen der öffentlichen Konsultation zwischen 1. und 25. August 2023 Stellungnahmen abzugeben. Die eingegangenen sechs Stellungnahmen wurden von APG geprüft und im Netzentwicklungsplan 2023 (Einreichversion) berücksichtigt, wobei dadurch keine wesentlichen inhaltlichen Anpassungen ausgelöst wurden. Der NEP 2023 wurde Anfang Oktober 2023 bei E-Control Austria (ECA) zur Genehmigung eingereicht und am 18. Dezember 2023 per Bescheid genehmigt.
Ausbauvorhaben im Übertragungsnetz der APG des NEP 2023:
- neue Leitungen im Übertragungsnetz von mindestens rd. 430 km Trassen-km
- Umstellungen von rd. 110 km bestehende Leitungen auf höhere Spannungsebenen
- Generalerneuerungen von Leitungen mit rd. 340 km
- 25 neue Umspannwerke („green field“ UW) bis 2033 zur Verstärkung der Anbindungen der Verteilernetze sowie Ausbauten bestehender Umspannwerke mit zusätzlichen Umspannern
- für die Kupplung der Netzebenen rd. 70 zusätzliche Umspanner (Transformatoren) mit einer Gesamtleistung von ca. 27.000 MVA
- umfangreiche Maßnahmen sowie altersbedingte Generalerneuerungen und Ertüchtigungen von Schaltanlagen als Betriebsinvestitionen
- zusätzlich sind weitere Netzmaßnahmen, Speicher- und Flexibilitätsoptionen, Sektorenkopplungen und innovative technologische Lösungen nötig
Sofern der Netzausbau in Österreich bzw. die NEP-Projekte nicht zeitgerecht umgesetzt werden – und damit die nötigen Erhöhungen der Transportkapazitäten und der Leistungsfähigkeit der Stromnetze nur verzögert oder nicht erreicht werden – entstehen langfristig negative Folgen:
- weitere Steigerung und Einsatz von kostenintensivem Engpassmanagement sowie von Netzreserve inkl. daraus resultierenden Kosten für die Netzkunden
- Einspeisereduktionen von EE und Kraftwerken bei mangelnden Netzkapazitäten und Engpässen sowie Leistungseinschränkungen an Übergabestellen zu den Verteilernetzen (bzw. zukünftig Ablehnung von neuen Netzanschlüssen)
- Nachteilige Auswirkungen auf überregionale Stromtransporte
- Gefährdung der Netz- und Systemsicherheit sowie der Versorgungssicherheit
- Weitreichend negative Effekte für den Wirtschaftsstandort Österreich
Voraussetzungen für den Netzausbau und Fazit
Damit die Transformation des Energiesystems versorgungssicher und leistbar gelingt, müssen die Voraussetzungen für die Umsetzung von insbesondere Netzinfrastrukturprojekten beschleunigt und vereinfacht werden. Nur wenn der Aus- und Umbau von Strominfrastruktur die gleiche Bedeutung wie u.a. der Ausbau der EE-Einspeiser erfährt, kann die Energiewende gelingen – dafür sind fünf Hauptpunkte zu nennen:
- Abgestimmte Gesamtsystemplanung
- Schnellere Genehmigungsverfahren für Netzprojekte
- Sicherung und Freihaltung von Trassen
- Gesicherte Finanzierung durch ein modernes Regulierungssystem
- Ausstattung der Behörden mit genügend Ressourcen
Nur wenn es gelingt, diese Voraussetzungen grundlegend zu verbessern, kann die aus Erneuerbaren gewonnene Energie in das System integriert und nutzbar gemacht werden. Gelingt das nicht, wird Österreich noch stärker importabhängig, und es werden aufgrund drohender Netzüberlastungen in Österreich weiterhin Gaskraftwerke benötigt (Netzreserve). Wenn die Stromnetze nicht ausreichend leistungsfähig sind, müssen bei wind- und sonnenreichen Stunden zukünftig EE-
Einspeiser immer häufiger eingeschränkt bzw. abdrosselt werden. Dies führt insgesamt zu „Verlust“ an EE-Erzeugung, erhöhten volkswirtschaftlichen Kosten sowie zu Verlust an CO2-Einsparungen und von Versorgungssicherheit.
Neben der digitalen Vernetzung der Akteure des Stromsystems bleibt der unverzügliche und rasche Netzausbau die wirksamste Maßnahme, damit die Energiewende bei Aufrechterhaltung der System- und Versorgungssicherheit gelingt. Nur mit raschen Kapazitätserhöhungen im Stromnetz, aber auch in allen anderen Teilen des Energiesystems, kann die Energiewende gelingen. Es gilt insgesamt volkswirtschaftliche Verluste zu minimieren – dafür sind der Netzausbau und die digitale Integration der Akteure in das Energiesystem alternativlos. Das Gelingen der Energiewende wird mit dem Ausbau der Stromnetze – der Übertragungs- und Verteilernetze – entschieden (!).